Gesellschaft für Tanzforschung
Wir schaffen Begegnung!

Erdmute Scheufele zur Tagesreflexion und dem Ausblick des Forschungstags Tanztherapie 2019: „Tanz wirkt! Wirkt Tanz?“

Mehr Mut zum künstlerischen Forschen!

Learn the rules like a pro, so you can break them like an artist.
Pablo Picasso

Das Zitat von Pablo Picasso schwirrt mir seit dem Forschungstag wieder einmal im Kopf herum. Ich setze es in Beziehung zur Diskussion am Ende eines eindrucksvollen Beisammenseins. Es gibt Regeln in der Forschung, die als gesetzt gelten. Wer macht diese Regeln? Muss man sie brechen, wenn man künstlerisch forscht? Gibt es unterschiedliche Wege des Forschens? Müssen Wissenschaft und Kunst als Gegensatz aufgefasst werden? Sind es nicht zwei Seiten derselben Medaille?

Den gemeinsamen Austausch über den Forschungstag im Plenum eröffnet Prof. Dr. Lucia Rainer. Sie schildert ihre Wahrnehmungen aus der Position der Beobachterin. Ihr Fazit: Die Evidenz, dass Tanz wirkt, ist unbestritten. Wie aber können wir eine Sprache finden, um Bewegung in Worte zu fassen? Unsere Zusammenkunft sei der Beginn einer Suche nach Formen und Methoden, nach passenden Prozessbeschreibungen und nach verschiedenen Forschungsansätzen, die ineinander greifen. Wir haben uns mit dem Forschungstag auf den Weg gemacht, um Praxis und Theorie in Einklang zu bringen.

Doch es wird auch die grundsätzliche Frage gestellt: Warum brauchen wir Forschung zur Legitimierung unseres Tuns?

Eine engagierte Fürsprecherin für die Notwendigkeit zu forschen, beantwortet diese Frage: Die Wirkmechanismen wissenschaftlich zu durchdringen, sei sehr wichtig. Wenn wir wissen, wo unser therapeutisches Tun ansetzen soll, optimiert das den Heilungsprozess, ist Tanztherapie lern- und lehrbar. Allerdings sollte diese Forschung in für uns sinnvoller Weise passieren: qualitativ und partizipativ, sonst würde es sich im Praxisfeld der Tanztherapie nicht etablieren!
Häufig werden Dichotomien postuliert: qualitativ versus quantitativ, Kunst versus Wissenschaft, pro versus artist (Picasso). Warum brauchen wir diese Abgrenzungen? Es geht doch darum, Gemeinsamkeiten zu suchen und bestehende Unterschiede zum Austausch zu nutzen! Einander guttun, ganzheitlich arbeiten! Es ist ein großes Selbstbewusstsein im Saal zu spüren, kunstbasierte Ansätze zu nutzen. Es werden jedoch viele Stimmen hörbar, die herausstellen, dass auch evidenzbasierte Ansätze wichtig sind, um eine größere Reichweite in der akademischen Welt sicherzustellen.

Kontrovers wird das Argument aufgenommen, man müsse sich mit wissenschaftlichen Methoden vertraut machen, um das Selbstbewusstsein im Feld der Tanztherapie fördern. Ist es notwendig, sich anzupassen, um Anerkennung zu bekommen? Psychotherapie und Tanz gehen zusammen! Viele machen sich dafür stark, eigene Wege zu finden, sich nichts aus dem Druck heraus, quantitativ zu forschen, anzueignen und trotzdem selbstbewusst zu sein: Auch in der Psychotherapieforschung gibt es viele Methoden: qualitative, quantitative, sorting dialogues, Triangulation – gerade durch die Vielfalt der Methoden entsteht die Bereicherung. Der Appell steht im Raum, alles zu nutzen und etwas Neues zu schaffen – kreatives Forschen!

Ein weiteres wichtiges Thema ist  die Frage der Infrastruktur von Forschung. Wie ist Forschung in der Tanztherapie möglich, wenn es kaum Anbindungen an akademischen Standorten gibt? Ein Thema, das dringend weiter bearbeitet werden muss.

Daran knüpfte die Frage an, wie es möglich ist, die Modalität der Bewegung in unsere Forschung zu übertragen – mehr als nur einen schriftlichen Sachbericht über Bewegung zu liefern. Es ist großer Pioniergeist zu spüren, adäquate Formen dafür zu finden.

Die tanzpädagogischen Teilnehmer_innen betonten, dass die Einblicke in die tanztherapeutische Thematik auch für ihr Berufsfeld relevant seien. Eine weitere Kooperation wird begrüßt und der Wunsch geäußert, dem Forschungstag weitere folgen zu lassen. Aufgrund des immensen Aufwands ist es noch unklar, wann es eine weitere Tagung geben wird. (Anmerkung der Veranstalterinnen: Wir hoffen, dass es 2021 einen weiteren Forschungstag geben wird!) Allerdings werden konkrete Möglichkeiten gesucht, Synergien zu bilden. Die Teilnehmer_innenliste wird genutzt, um gemeinsame Themen zu identifizieren. So kann die Suche nach Überschneidungen gelingen und gemeinsame Forschungsprojekte werden möglich!

Im Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung entsteht die Idee, das Format des Forschungstages zu kopieren. Ein zweimaliges Treffen jährlich wird dort angeregt, um weitere Möglichkeiten des interkollegialen Austauschs über verschiedene Methoden zu schaffen und die Anbindung an Hochschulen zu gewährleisten.

Anschließend schwenkt die Diskussion zum Schwerpunkt Publikation in den künstlerischen Therapien. Es wird aufgerufen, Beiträge in Fachzeitschriften einzureichen, Open-Access-Plattformen und Möglichkeiten der Universitäten zu nutzen. Hier wird als Ansprechperson speziell Prof. Dr. Peter Sinapius von der Medical School Hamburg erwähnt. Da es eine schnelle Entwicklung in der Forschung gibt, seien auch andere Publikationsformate als print denkbar. Damit kann Dynamisches seinen Ausdruck finden und  transmediale Formen werden ermöglicht. In der künstlerischen Forschung werden vermehrt Online-Plattformen für Publikationen genutzt bspw. für Review-Prozesse. Das ist eine spannende Entwicklung!

Mit der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen entsteht Transparenz – was ist das, was wir machen und wie machen wir es? Reflexion über Eigenes erhält Raum, und es stellt sich die Frage, wie eine Formulierung der Ergebnisse über Worte hinaus möglich sein kann. Wie können nicht nur verbale, sondern ebenso körperliche und ästhetische Erkenntnisse gewonnen, formuliert und sichtbar gemacht werden?

Das Fazit des Abschlussplenums: Ein Netzwerk, wie es sich am heutigen Tag gezeigt hat, macht Mut! Es wurde als Brücke der Generationen empfunden: Tanztherapeutinnen der ersten Stunde wie Elke Willke trafen auf junge Kolleg_innen in Ausbildung. Ein Anfang ist gemacht für viel neues und kreatives Forschen. Auch das Hineinwirken in die Bildung wird hervorgehoben. Wer sich in dieser Hinsicht vernetzen möchte, kann sich bei Bettina Rollwagen vom Institut für Bewegungs- und Lernentwicklung melden: br@bewegteslernen.org

Interessierte für die Mailingliste des Instituts für künstlerische Forschung können sich bei Anna Marike Kanitz melden: anna.kanitz@artistic-research.de

Das Organisationsteam erhielt nicht nur einmal großen Applaus – Magdalena Jäger, Nicole Hartmann, Petra Rostock und Nadja Massumeh Rasch gilt ein ausdrücklicher Dank für diese rundum gelungene Veranstaltung!

Auf dass der Mut zum künstlerischen Forschen weiter wachse!

Erdmute Scheufele
Diplom-Psychologin, Leiterin für therapeutischen Tanz (DGT)