Gesellschaft für Tanzforschung
Wir schaffen Begegnung!

Indra-Isabelle Djimjadi zum Workshop „Embodying people with dementia: the role of dance in an art-based dance therapy research project“ von Marie Louise Gilcher, Dr. Raluca Popa und Maartje Jaspers       
               
Unter dem Titel „Embodying people with dementia: the role of dance in an arts-based dance therapy research project“ wurden persönliche Erfahrungen über Möglichkeiten und Grenzen der praktischen Umsetzung einer spezifischen Forschungsmethodik aus dem tanztherapeutischen Kontext vorgestellt. Die Kooperation zwischen Marie Louise Gilcher, Dr. Raluca Popa und Maartje Jaspers, die alle ihre Ausbildung bei Codarts/Rotterdam absolviert haben, bildete die Grundlage für den Workshop, in dem die Forschungsarbeit, gemeinsam mit der Teilnehmer_innengruppe, fortgesetzt wurde. Im Rahmen des Workshops stellte Marie Louise Gilcher ihre Fallstudie über die tanztherapeutische Arbeit in einem Pflegeheim vor, die sich mit der Frage beschäftigt, welche Rolle Humor in diesem therapeutischen Setting spielen kann. Zusätzlich entstand aus dem gesammelten Bewegungsmaterial eine „live performance", die in dem Workshop vorgestellt wurde. Mithilfe des bewegten Feedbacks der Teilnehmer_innen wurden weitere Daten generiert. Die Erkenntnisse der drei Forscherinnen flossen zudem in die Erstellung eines Kapitels ein, das in einem Manual zu dem Thema „arts-based research“ erscheint. Dieses Manual enthält verschiedene Ansätze von unterschiedlichen Forschergruppen, wobei die genannten Autorinnen Tanz als Forschungs- und Arbeitsmedium wählten.

„Jede Forschung beginnt mit einer Frage“ - eingeleitet mit diesem Gedanken der drei Leiterinnen des Workshops hatten die Teilnehmer_innen Zeit, um sich mithilfe von Bewegung und dem Fokus auf den eigenen Körper auf die Suche nach einer Fragestellung zu machen. „Research in my body“ bedeutet Forschung im eigenen Körper zu betreiben, sowie diese Frage im eigenen Körper entstehen zu lassen. Dieser praxisbezogene Ansatz bietet die Möglichkeit, wissenschaftliches Arbeiten aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Anschließend wurde die Grundidee der „arts-based research“ vorgestellt und evidenzbasierten Methoden gegenübergestellt. Marie Louise Gilchers Fallstudie beschreibt sechs tanztherapeutische Sitzungen in einer holländischen Seniorenresidenz für Bewohner, die an Demenz erkrankt sind. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit folgender Frage:  „In welcher Weise kann Humor die tanztherapeutische Arbeit (mit Demenzkranken) bereichern?“ Die Sitzungen wurden von der Therapeutin geleitet und von einer Beobachterin begleitet, die parallel das Auftreten von Lachen in der Gruppe notierte. Nach jeder Sitzung gab es einen verbalen Austausch zwischen Therapeutin und Beobachterin, wie auch das gemeinsame Verkörpern der Erfahrung. Marie Louise Gilcher tanzte im Anschluss allein und verarbeitete so den kollegialen Austausch körperlich. Aus diesen Bewegungen entstand ein Tanz - ein künstlerisches Produkt, das den Gruppenmitgliedern, den Angehörigen und dem Personal gezeigt wurde. Die Reaktionen der Beobachter_innen waren dabei immer Teil der Studie und trugen zu weiteren Veränderungen bei. Eine zusätzliche Quelle sollte die anwesende Gruppe der Workshopteilnehmenden werden. Ganz bewusst wurde nun der Raum verändert und eine Art Bühne geschaffen. Ganz bewusst wurde aus der Teilnehmer_innengruppe nun ein Publikum, das die Performance erlebte und seine eigenen Reaktionen und Wahrnehmungen als Teil der Forschung nutzen konnte. Im Anschluss hatte jede Zuschauer_in Zeit, um in Stille den eigenen Impulsen mit der Frage nachzugehen: „How is the person with dementia (re)(presented) in your movement?“ Diesem persönlichen Feedback wurde durch das Herausarbeiten einer Bewegung Ausdruck verliehen. Eine Vertiefung wurde durch mehrere kreative Zugänge erreicht: Die Arbeit mit einer Partner_in, das Gestalten eines Bildes oder dem Ausdruck durch einen Text auf Papier. Die Bewegungen wurden dann innerhalb der Gruppe geteilt. Anhand zweier Beispiele zeigten die Forscherinnen, wie sie mit diesem Material weiterarbeiten würden und nutzten hier erneut das Feedback der Gruppe. Somit war das Bewegungsmaterial durch mehrere Körper „verdaut“ und Information daraus generiert worden, die weitere Fragen aufbrachte. Ein bewegter Prozess….

In der abschließenden Diskussionsrunde des Workshops kamen viele Fragen und Gedanken auf und es entstand ein reger Austausch. Es wurde deutlich, dass die Forscher_in bei der "arts-based research“ mitten im Geschehen steht, es „subjektiv verarbeitet“ und auswertet, und damit im Kontrast zur evidenzbasierten Forschungsmethode steht. In der Gruppe der Teilnehmer_innen entstand eine ehrliche und kritische Betrachtung. Die Suche nach einer Definition des Konstruktes Humor stellte sich innerhalb der Gruppe und für die Forschung als bereichernd dar. Gleichzeitig wurde die Erweiterung der Möglichkeiten durch die Methoden der „arts-based research“ greifbar.

Das gemeinsame Projekt der drei Forscherinnen zeigt die positiven Aspekte von Kollaboration auf und stellt zeitgleich eine Einladung dar, sich einzubringen und als Team zu arbeiten.


Arts-based methods literature:
Austin, D. & Forinash, M. (2005). Arts-Based Research. In Wheeler, B.L. (ed.) Music Therapy Research. Gilsum, NH: Barcelona Publishers, pp. 458-471.

Bagley, C. & Cancienne, M.B. (2002). Dancing the data. New York: Peter Lang.

Blumfeld- Jones, D.S. (1995). Dance as a mode of research representation. Qualitative Inquiry, 1(4). 391-401.

Hervey, L.W. (2000). Artistic Inquiry in Dance/ Movement Therapy. Creative Alternatives for Research. Springfield,IL: Charles C. Thomas.

Hervey, L.W. (2012). Artistic Inquiry in Dance/ Movement Therapy. In Cruz,R., C. F. Berroll (eds.) (2012). Dance/Movement Therapists in Action: A Working Guide to Research Options (2nd ed.).Springfield, IL: Charles C. Thomas.

James Haywood Rolling Jr. (2013). Arts-based Research Primer. Peter Lang.

Knowles & Cole (eds.) (2008). Handbook of the Arts in Qualitative Research. London: Sage.

Leavy, P. (2009). Method Meets Art: Arts-Based Research Practice. NY: The Guilford Press.

McNiff, S. (2000). Arts-based research. London: Jessica Kingsley.

Indra-Isabelle Djimjadi
M.A. Dance Movement Psychotherapy (Goldsmiths University, London)
Heilpraktikerin für Psychotherapie
 

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Christine Flori zu ihrem Erleben des Forschungstags Tanztherapie 2019: “Tanz wirkt! Wirkt Tanz?" mit Teilnahme am Workshop „Embodying people with dementia: the role of dance in an arts-based dance therapy research project“ von Marie Luise Gilcher, Dr. Raluca Popa und Maartje Jaspers

Im ersten Vortrag zum Forschungstag Tanztherapie, der von Prof. Dr. phil. habil. Sabine C. Koch zum Thema „Being Moved. Research findings on effects and therapeutic mechanisms of dance movement therapy“ gehalten wurde, wurde mir noch ein Mal gewahr, dass etwaige Grabenkämpfe innerhalb der Psychotherapieverfahren - Verhaltenstherapie, psychodynamische Therapien, Kreativtherapien,... - nahezu unwesentlich sind. So mache das Verfahren nach Grawe (immer wieder gut, sich die allgemeinen Wirkfaktoren von Zeit zu Zeit vor Augen zu halten) nur knapp 15% aus und die „client factors“ umfassten ca. 50%. Motivierend wirkt dann auch das Mantra: „If you believe in your technique“, durch das sich der stärkste der fünf Wirkfaktoren, nämlich die therapeutische Beziehung, in potenziert präsenter Form verwirklichen lasse. Interessant ist für mich in diesem Zusammenhang auch das von Sabine C. Koch im Anschluss angeführte „Model of embodied aesthetics“ mit den mediating effects der Variablen von being moved. Sabine C. Koch geht erweiternd auch auf das Konzept von KAMA MUTA (Sanskrit für moved by love) ein und ich bekomme eine leise Ahnung davon, dass das daraus resultierende Erleben von „beauty und being moved, creating, playing und symbolizing“ eine innere Präsenzerfahrung bedeuten kann, die sicher nicht leicht „zu beforschen“ ist, für die es sich jedoch allemal lohnt zu forschen.

Danke auch den Ausführungen von Frau Tüpker im zweiten Vortrag zu dem Spannungsfeld von beweisender und verstehender Forschung. Das umfasst auch die Abhängigkeit der Forschung von der Finanzierung, die auszuhaltende kognitive Dissonanz und das Mitspielen von „Mensch-ärgere-dich-nicht“ für künstlerische Therapien unter dem „Markenlabel-Diktat“ wissenschaftlicher Methoden. Ich musste lachen bei der Aussage, dass die Frage: „Was sagt die Wissenschaft dazu?“ das Argumentieren „mit der Bibel im Arm“ abgelöst habe und damit letztendlich die Unmündigkeit im aufklärerischen Sinne nur auf eine andere Ebene verschiebt, nicht jedoch wirklich auflöst. Zitat von Frau Tüpker aus ihrem Vortrag: „Was für Kunst und Kultur wesenhaft ist, lässt sich nicht nach dem Modell „Mensch als Körpermaschine“ abbilden“. Seligman mit seinen unspezifischen Wirkfaktoren wurde zur Hilfe gerufen. Vor allem das Erleben von Wahlfreiheiten bei den Patient_innen, was die Dauer der Behandlung, eine adaptive Methodik, die gemeinsame Abstimmung unter Berücksichtigung der häufig „multimorbiden Realität“ der Patient_innen angeht, gelten als hilfreiche „unspezifische Wirkfaktoren“ einer Therapie. Besonders erfrischend war für mich der Vergleich, dass „das Gespräch beim Pfarrer genauso wirken kann wie eine langjährige Analyse“. Einigen orthodoxeren Vertreter_innen meiner Zunft ein Dorn im Auge, spiegelt es für mich jedoch die Realität wieder. Sehr interessant fand ich den Link zu Eva Terbuyken-Röhm, die eine Forschungsstudie zum Thema „Narzissmus in der Musiktherapie“ veröffentlicht hat. Kohuts Selbstobjekttheorie wurde mit dem Kriterium des Verschmelzens in der Musiktherapie sowie der „Idealisierung des Selbstobjekts Musiktherapeutin“ als „musikalisches Vorbild und Spannungsregulator“ im Rahmen der Musiktherapie bei akut psychiatrischen Patient_innen angewandt. Für mich ein schönes Beispiel von heilsamer Anwendung von Theorie auf eine Praxis (geschlossene Psychiatriestation), die nur allzu leicht in Resignation in puncto Umsetzbarkeit verfallen kann.

Ich besuchte den Workshop 1 von Marie Louise Gilcher, Dr. Raluca Popa und Maartje Jaspers: „Embodying people with dementia: the role of dance in an arts-based dance therapy research project“. Im Vergleich zu evidenzbasierten Verfahren liegt der research Ansatz in der arts-based-therapy darin, dass „dance as a part of research“ gilt und, abgeleitet davon, „dance as a way to reach knowledge“. Ein Vierfeldermodell von Beatrice Allegranti liegt diesem Forschungsansatz zugrunde:

Epistemology    Ontology
Aesthetics    Ethics

Traditionelle Forschungsansätze gehen von einem linearen Modell aus, bei dem der_die Researcher_in auf das zu beforschende Objekt schaut, dieses jedoch nicht an-schaut, da er_sie sich nicht selbst einlässt (und nach Wittgenstein bleiben Begriffe ohne Anschauung leer). Beim arts-based Ansatz hingegen „embodied“ sich der Forschende und löst dadurch als Subjekt die lineare Objektbetrachtung ab. Ein „continuos movement“ entsteht mit „coming together“ und „separate from each other“. Ich stellte mir eine liegende Acht vor, die ich manchmal als Visualisierungshilfe in der Arbeit mit Patient_innen nutze: Wir sind miteinander verbunden, jedoch hat jede_r auch ihren_seinen eigenen Raum und ist dadurch ein eigenständiges Individuum. Unsere eigene Forschungspraxis verfolgten wir dann anhand der Performance von Marie Louise Gilcher. Sie untersuchte im Rahmen ihrer Masterarbeit im Studiengang Master of Art Therapy Tanztherapie mit Demenzkranken: „The role of humour in the sessions“. Wir sahen ihre Performance (final dance as a result of the sessions with the dementia clients) und entwickelten daran anschließend unser eigenes „movement“ unter der Forschungsfrage: „How is the person with dementia represented in your movement?“ Zunächst malten wir ein Bild (ich drückte für mich die Wiederbelebung der Wirbelsäule aus) und versprachlichten es anschließend schriftlich (meine Assoziationen: to grow again, a soft spine as a growing factor, a soft spine enlarges/strengthens you for more freedom of body and mind). Unser entwickeltes condensed/cristallized movement stellten wir uns gegenseitig reihum im Kreis vor. Es ergaben sich Ähnlichkeiten zu der Performance von Marie Louise Gilcher, wie zum Beispiel „child playing manners“ oder eben auch Unterschiede. In einer Abschlussdiskussion kamen Fragen auf, inwieweit unser eigenes Verständnis von Demenz unser Forschungsvorgehen - die Repräsentanz der Performance von Marie Louise Gilcher in unserer Bewegung - beeinflusst hat, ob es überhaupt wichtig sei, explizit zu erwähnen, dass es sich um Demenzkranke gehandelt hat und inwieweit die Forschungsfrage der „Rolle des Humors in den tanztherapeutischen Stunden“ in der Performance gewichtig wurde? Ich fand es spannend und herausfordernd, mich auf diesen, noch über die phänomenologische Forschung hinaus gehenden, Ansatz einzulassen, ohne in die Falle zu tappen, dass ein rein kognitives Begreifen bzw. dass rein über Verstand und Vernunft zu Erklärende ausreichen könne. Meine Synthese war dann, dass über das Betrachten der Performance eine Präsenz-Erfahrung des Wachstumspotenzials meiner Wirbelsäule ausgelöst wurde, die möglicherweise durch die tanztherapeutischen Stunden auch von den Klient_innen so erlebt wird/wurde. Vielleicht eröffnen sich dadurch auch neue Spielräume für Menschen, die am dementiellen Syndrom leiden.

Für mich war das Überraschendste an dem Forschungstag, dass Forschung Spaß machen kann. Im Praxisalltag beschäftige ich mich kaum mit Forschungsfragen und wenn Forschung auftaucht, dann ausschließlich im Hinblick auf evidenzbasierte Verfahren. Anknüpfungspunkte für den arts-based-therapy Forschungsansatz finden sich für mich auch im zeitgenössischen Tanz (z. B. Gaga oder Axis Syllabus). Auch hier geht es um „movement research“, als Tänzer_in ist man gleichzeitig Forscher_in, wie man auch als Therapeut_in gleichzeitig Forscher_in ist. Letzen Endes möchte ich immer mehr innere Präsenz-Erfahrungen machen und dafür finde ich den arts-based-therapy Ansatz hilfreich. Zum Schluss wieder zurück zum Anfang: „...dass das daraus resultierende Erleben von „beauty und being moved, creating, playing und symbolizing“ eine innere Präsenz-Erfahrung bedeuten kann, die sicher nicht leicht „zu beforschen“ ist, für die es sich jedoch allemal lohnt zu forschen.“

Christine Flori
Psychologische Psychotherapeutin & Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin
Traumatherapie, Tanztherapie