Gesellschaft für Tanzforschung
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Nina Ridderbecks zum Workshop „Tanzt, tanzt sonst sind wir verloren! - Tanz in der Therapie schizophrener Patient_innen“ von Dr. Laura Galbusera und Ariane Konrad

Im Mai 2019 besuchte ich den Forschungstag Tanztherapie an der MSH-Hamburg. Die Veranstalter_innen stellten die Äußerung „Tanz wirkt! Wirkt Tanz?“ in den Mittelpunkt dieses Tages.
Von den angebotenen Workshops entschied ich mich für den Workshop „Tanzt, tanzt sonst sind wir verloren - Tanz in der Therapie schizophrener Patient_innen“ von Ariane Konrad und Laura Galbusera. Da ich während des Studiums mit schizophrenen Patient_innen gearbeitet hatte, sah ich den Workshop als gute Möglichkeit zur Auffrischung meiner Kenntnisse und Erfahrungen.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde eröffneten die Leiterinnen den Workshop mit einem strukturierten Blick auf das Störungsbild. Hier wurden besonders die Gesichtspunkte der Phänomenologischen Psychiatrie hervorgehoben. Während der konservative, medizinische Behandlungsansatz der positiven Symptomatik (akute Phasen mit zum Beispiel Wahnvorstellungen) aus der Verabreichung von Neuroleptika besteht, setzt die Tanz-Bewegungstherapie (TBT) bei der Negativsymptomatik an, deren Symptome auch außerhalb der akuten Phase anwesend sein können und zum Beispiel Niedergeschlagenheit und Depression beinhalten. Die Phänomenologie beschreibt dies als Störung des leiblichen Selbst, bei der das Zentrum, das Ich, zerfällt. Das Ziel der TBT ist es, den Patient_innen das eigene Körperempfinden zurück zu bringen oder dieses besser zu erhalten. Konrad und Galbusera erforschten die Wirksamkeit der Tanz- und Bewegungstherapie an Hand des standardisierten Manuals von Röhricht und Papadopoulos (2010). Zusätzlich zu den Ergebnissen der eigenen Forschung, berichteten die Workshopleiterinnen von anderen Studien, die die Wirksamkeit der TBT belegen. Zusätzlich zur Wirksamkeit war es Konrad und Galbusera wichtig, einen Fokus auf die Wirkfaktoren zu legen, die sie in ihrer Arbeit ermittelt hatten.

In den nächsten Schritten des Workshops führten Konrad und Galbusera uns Teilnehmer_innen in einem dialogischen Prinzip mit praktischen Übungen und ihren erhobenen Daten sowie Zitaten der Patient_innen die ermittelten Wirkfaktoren vor. Das größte Augenmerk wurde auf das Selbsterleben der Teilnehmer_innen gelegt. Diese Phase des Workshops erlebte ich als sehr angenehm, inspirierend und harmonisierend. Durch die wechselnden Übungen und Übungspartner_innen entstand eine neue Atmosphäre zwischen uns Workshopteilnehmer_innen. Wie schon häufig in körperorientierten Workshops stellte ich fest, dass ein Kontakt zum Gegenüber sich maßgeblich verändert, wenn von Sprache/Klang zu Ohr als Kommunikationsweg der Weg Körper zu Auge und Körper zu empathischer Körperresonanz hinzu kommt. Es fühlt sich für mich an, als würden die Poren der Menschen mehr atmen und mehr Raum einnehmen, wodurch ein Teil von bewussten oder unbewussten Fassaden verloren geht. Es entstand eine Stimmung der Hingabe, aus der heraus es fast schade war sich den nun folgenden Teilen des Workshops zu widmen, in denen das 'Warum', das 'Wann' und das 'Wie' der spezifischen Wirkfaktoren ausführlicher beschrieben und mit den gesamten Workshopteilnehmer_innen diskutiert wurde. Die Gruppe arbeitete aufmerksam und aktiv mit. Die beiden Workshopleiterinnen reagierten wertschätzend und konstruktiv auf kritische Fragen und Anmerkungen. Zusätzlich warfen Konrad und Galbusera die Frage in die Debatte, ob die künstlerische Forschung (artistic research) in der wissenschaftlichen Forschung der künstlerischen Therapien einen größeren Stellenwert erlangen sollte. Kann künstlerische Forschung zum Beispiel den in der klinischen Praxis anwesenden Prozess der inneren und äußeren Entwicklung der Patient_innen und den künstlerischen Aspekt der tanztherapeutischen Arbeit besser hervorheben, beschreiben oder gar beweisen?
Einige Wochen nach dem Workshop, bewegen mich verschiedene Fragen. Ich beschäftige mich mit dem Gedanken, dass die Schizophrenie ein Störungsbild ist, das für einen gesunden Menschen nur rational nachvollziehbar bleibt. Haben wir 'Gesunde' die Möglichkeit, tatsächlich mitzuschwingen bzw. leiblich zu verstehen wie es ist, eine schizoaffektive Störung zu haben und wie sinnvoll wäre dies? Gibt es, wenn ich weiterdenke, eine Workshopform durch die die Teilnehmer_innen in ein tieferes Erleben der Krankheit kommen könnten? Ich bin inspiriert, nehme die Übungen und Ideen von Konrad und Galbusera, drehe und wende sie ein wenig und sie passen hervorragend in meine laufenden Therapien mit Kindern und Jugendlichen und mit Patient_innen anderer Störungsbilder. Ich bin erneut überrascht, dass mir bekannte Übungen mich zu neuen Ideen bringen können, sobald ich sie selbst wiederholt in der teilnehmenden Rolle ausprobieren kann. Wir sprachen im Workshop über die Bedeutung von Ästhetik im ursprünglichen Bedeutungssinn, der sinnlichen Wahrnehmung. Kann die TBT es schaffen, das innere Körpersystem so zu verändern, dass der Körper, der Geist, die Seele in der Lage sind sich sogar weiteren olfaktorischen Reizen zu öffnen? Wie könnte dies gelingen? Und noch einen Schritt weiter gedacht, stelle ich mir die Frage, ob wir gerade in Bezug auf Patient_innen mit schizoaffektivem Krankheitsbild die Wahl der TBT-Übungen so individuell wählen können, dass wir an die jeweilige Sinneswahrnehmung andocken können, die bei den persönlichen Symptomen der Betroffenen sich dem Wahn hingeben.
Und wieder mit ein wenig Abstand erschließt sich mir, wie gut der gewählte Titel von Konrad und Galbusera passt. Das Zitat von Pina Bausch "Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren!", greift wunderbar auf, dass gerade Patient_innen mit Schizophrenie in unserer herrschenden Welt immer mehr verloren gehen. Ihre Sinne und ihr Gefühl zum Ich zerrinnen aus der Realität. Die TBT bringt sie immer wieder ein kleines Stück zurück. Wie auch Konrad und Galbusera herausstellten, wirkt Tanztherapie durch den Bezug zum Körper. Dies hebt die TBT von anderen Kreativtherapien und den bekannten Psychotherapien ab. Im Vergleich zu anderen Körpertherapien schafft es die Tanztherapie, den kreativen Schaffensprozess der Patient_innen mit einzubeziehen. Können wir sagen, welcher Aspekt bei der Therapie schizophrener Patient_innen der Heilsame ist? Ist es der Bezug zum Körper, der kreative Schaffensprozess oder die Kombination der beiden Aspekte?
Die Frage der Veranstalterinnen, ob Tanz wirkt, wurde von Galbusera und Konrad eindrücklich in Zahlen und in der Selbsterfahrung aufgezeigt. Wir gingen in diesem Workshop noch einen Schritt weiter und konnten Antworten darauf geben, wie und weswegen Tanz wirkt!

Nina Ridderbecks
Logopädin (BA), SI-Mototherapeutin, Tanz-und Bewegungstherapeutin (MA)
Arbeitet zur Zeit als Tanz- und Bewegungstherapeutin in einer psychiatrischen Klinik sowie als Choreografin in einer inklusiven Performancegruppe