Gesellschaft für Tanzforschung
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Anna Kanitz zum Vortrag „Being Moved. Research findings on effects and therapeutic mechanisms of dance movement therapy“ von Prof. Dr. phil. habil. Sabine C. Koch

Sabine C. Koch eröffnete den Forschungstag Tanztherapie mit ihrem Vortrag „Being Moved. Research findings on effects and therapeutic mechanisms of dance movement therapy“. Ihr Vortrag beleuchtet vor allem zwei Themen: Zum Einen Effektivitätsstudien, die die Wirksamkeit von Tanztherapie zeigen und zum Anderen therapeutische/aktive Faktoren, die beschreiben wie Tanztherapie wirkt.

1. Effektivitätsstudien: Wirkt Tanztherapie? Welchen Zielgruppen hilft Tanztherapie?
Es gibt verschiedene hierarchische Ebenen evidenzbasierter Forschung: Expert_innen Meinungen, Fallstudien, kontrollierte oder randomisiert-kontrollierte Studiendesigns sowie an der Spitze mit größter Wirkkraft Reviews und Meta-Analysen. Im Kontext der künstlerischen Therapien im deutschsprachigen Raum gibt es die meisten Metaanalysen zur Wirkung von Musiktherapie. Sechs Metaanalysen zeigen, dass Tanztherapie wirkt. Die Wirksamkeit von Tanztherapie wurde für 14 unterschiedliche Zielgruppen bestätigt - von Schizophrenie, Depression und Angst bis zu Parkinson, Demenz und chronischer Herzinsuffizienz. Die Wirksamkeit wird anhand von Variablen wie Lebensqualität, Wohlbefinden, Körperbild, klinische Symptome und soziale Kompetenzen gemessen. Größte Effekte konnten bisher in der Verbesserung der Lebensqualität und Verminderung von depressiven und ängstlichen Symptomkomplexen sowie Steigerung der sozialen Kompetenzen gefunden werden. Es sind mittlere Effektgrößen, die aber stabil sind.

2. Wie wirken künstlerische Therapien? Was sind die Wirkfaktoren?
Übergreifende Wirkfaktoren therapeutischer Settings:
Eine Studie von Grawe et al. (1994) zeigt fünf unspezifische übergreifende Wirkfaktoren in therapeutischen Settings: therapeutische Beziehung, Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, Motivationsklärung und Lösungsorientierung. Die Therapeutische Beziehung ist der wichtigste Faktor für die Wirkung von therapeutischen Interventionen. Die verwendete Therapiemethode macht etwa nur 15% der Wirksamkeit aus (Lambert, 2013). Folglich ist es weniger wichtig, welche Methode angewendet wird (bspw. Kunst-, Musik-, Tanztherapie), signifikanter ist die Überzeugung des Therapierenden von der eingesetzten Methode. Ergo: Verwendet eine Methode, die Euch überzeugt, denn erst dann können auch positive Wirksamkeitserwartungen bei Klient_innen entstehen!

Übergreifende Wirkfaktoren Künstlerischer Therapien:
Studien, die die Wirkfaktoren in künstlerischen Therapien erforschen - sogenannte Mechanistische Studien - untersuchen Zusammenhänge von Variablen (Moderation und Mediation) in künstlerischen Therapieinterventionen. Es gibt spezifische aktive Faktoren, die bei künstlerischen Therapien wirken und sich von therapeutischen Faktoren in medizinischen Behandlungen und Psychotherapien unterscheiden. Diese Faktoren gelten allgemein für künstlerische Prozesse. Sabine C. Koch (2017) nimmt die folgenden übergreifenden Wirkfaktoren für künstlerischen Therapien an:
Hedonismus: Kunst als Spiel und zur Lust
Ästhetik: Kunst als Schönheit und authentischer Ausdruck
Nonverbale Bedeutungsgestaltung: Kunst zum Symbolisieren und Kommunizieren; Kunst um gesehen/verstanden zu werden
Übergangsraum: Kunst als Schutzraum; Kunst zur Bewältigung; Kunst, um etwas abzuschließen
Generativität/Produktivität/Gestaltung/Kreation/Schöpfung: Kunst als Resilienz und zur Selbstwirksamkeit (Stärke und Kontrolle); Kunst, um etwas zurückzulassen

Ästhetische Erfahrung als Wirkfaktor:

 

Ein besonders identitätsstiftender Wirkfaktor sei die Ästhetische Erfahrung, die sich als sinnliches Erkennen verstehen lasse (Baumgarten, 1750). Ästhetische Erfahrung ist ein Mediator. Das Modell der verkörperten Ästhetik von Koch (2017) berücksichtigt sowohl aktive (Ausdruck) als auch rezeptive (Eindruck) Aspekte ästhetischer Erfahrungen. Es umfasst Prozesse von Kunstschaffen und Kunstwahrnehmung als eine Einheit von Wahrnehmung und Bewegung.

Being moved und Gestaltung als spezifische Wirkfaktoren:
Das Konstrukt von being moved (bewegt/berührt sein) ist ein Aspekt von ästhetischer Erfahrung.  Being moved scheint einer der aktiven Faktoren aller kreativen Kunsttherapien zu sein. Künstlerische Therapien zielen darauf ab, signifikante Momente zu schaffen, in denen Patient_innen bewegt/berührt sind. Being moved ist nicht nur Untersuchungsgegenstand der künstlerischen Therapien, sondern auch in der Sozialpsychologie (Seibt, Schubert, Zickfeld & Fiske, 2019) und in der Ästhetischen Forschung (vgl. Menninghaus et al. 2015; Menninghaus, 2016).
Gestaltung sei ebenfalls ein aktiver Faktor für alle künstlerischen Therapien (Lange, 2017). Gestaltung ermöglicht Erfahrungen von Selbstwirksamkeit. Es bedarf der Erfahrung von Selbstwirksamkeit, um in einen spielerischen kreativen Zustand zu gelangen, loszulassen und sinnlich die Gestaltung in nonverbalen Modalitäten zu entwickeln. Patient_innen sollten über die Form der künstlerischen Modalität (Musik, Kunst, Tanz, Theater) entscheiden, damit Selbstwirksamkeitsprozesse entstehen können.  

Spezifische Faktoren der Tanztherapie:
In Zusammenarbeit mit Kolleg_innen und Studierenden generierte Sabine C. Koch einige interessante Studienergebnissen dazu, wie Tanztherapie und being moved wirken.
Folgende spezifischen Faktoren von Bewegungen konnten gefunden werden:
•    Leichte Bewegungen verursachten einen nachsichtigen Effekt (friedlich, positiv). Nach leichten Bewegungen erinnerten sich die Teilnehmenden an deutlich mehr positive Lebensereignisse als nach starken Bewegungen (Koch, Summa, & Fuchs, 2013)
•    Signifikante Verringerung von depressiven Symptomen und Steigerung der Vitalität durch Hüpfbewegung im Kreistanz (Koch, Morlinghaus & Fuchs, 2007)
•    Nicht-Zielorientierung der Bewegung erhöht Wohlbefinden, reduziert Stress, erhöht Selbstwirksamkeitserwartung (Wiedenhofer & Koch, 2016)
•    Gesehen werden als aktiver Wirkfaktor in ästhetischen Erfahrungen (Chace-Methode und Authentische Bewegung) (Bodingbauer, 2016)

Weitere Faktoren sind die Erfahrung der Körper-Geist-Interaktion, die Erfahrung in der Einheit mit Anderen und die Erfahrung in der Einheit mit Musik.

Fazit: Evidenzbasierte Forschung und/oder künstlerisch-basierte Forschung? Was lässt sich in der Tanztherapie wie erforschen?:
Evidenzbasierte Forschung entspricht dem derzeit gängigen Verständnis von Wissenschaft und somit Wissensproduktion. Das war nicht immer so. Im Laufe der Wissenschaftsgeschichte wechseln sich Paradigmen ab. Derzeit wird favorisiert, über große Metaanalysen Effektstärken zu ermitteln. Ein Verständnis von Wissenschaft, das Objektivität und Distanz zwischen Forschenden und zu Erforschendem suggeriert. Die evidenzbasierte Forschung von Tanztherapie sagt wenig darüber aus, wie Tanztherapie wirkt. Aber es bedarf dieser Studien, um eine Anerkennung im Gesundheitssystem zu erlangen. Krankenkassen bezahlen nur Interventionen, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist. Gute empirische Studien können die Gesundheitspolitik für eine ganze Zielgruppe und Berufsgruppe verändern. Evidenzforschung kann die Tanztherapie von einer unterfinanzierten und nicht etablierten Disziplin zu einer anerkannten finanzierten Säule im Gesundheitsbereich transformieren. Doch wie sieht eine künstlerische Forschung aus, die nach dem Wie und nicht dem Was fragt? Erst die Frage nach dem Wie beleuchtet die ablaufenden Prozesse. Künstlerische Therapien wirken vor allem über sinnliche Erkenntnisprozesse. Diese können durch evidenzbasierte Verfahren nicht abgebildet werden. Es gilt, den von den Sinnen ausgehenden Prozessen eine verbale Stimme zu geben, ein lesbares Auge, einen spürenden Körper. Um sinnliche Erkenntnisprozesse zu verstehen und zu systematisieren, müssen diese Teil des Forschungsprozess sein. Idealerweise sind sinnliche Erkenntnisprozesse Teil der Konzeption, Methodik und Publikation. Damit ändert sich die Distanz zwischen Forschenden und zu Erforschendem. Subjektive Erlebbarkeit tritt an die Stelle von verallgemeinerbarer Objektivität. Eine bewusste, systematisierte, forschende Herangehensweise lässt auch den Vorwurf der Willkür verstummen und bringt die Möglichkeit der Entwicklung neuer Methoden. Nur durch die Systematik und das Öffnen der Tanztherapie für künstlerische Forschung kann auch ein Umdenken in der Produktion von Wissenschaftlichkeit und Wissensproduktion passieren. Denn kein anderer Forschungszugang hat die Offenheit, Lernbereitschaft und den kritischen Reflexionsraum, welche es in ungewissen, komplexen und erfahrbaren Prozessen braucht. Erfreulicherweise lässt sich ein beachtlicher Anstieg von Forschungstätigkeiten im Kontext Tanz und Tanztherapie beobachten. Die Existenz allein künstlerischer Forschung ist wichtig. Dabei sollten die verschiedenen künstlerischen Therapieformen kollaborieren und sich nicht gegenseitig ausspielen. Durch das Verbinden der Nischen entsteht eine größere Resonanz, um professionelle klinische Richtlinien und Regulationen einzuführen. Seid mutig, die Prozesse sinnlicher Erkenntnis, künstlersicher Therapien und tanztherapeutischer Wirkungskraft zu erforschen!

Anna Marike Kanitz
Klinische- und Beratungspsychologie M.A. (Universität Potsdam)
2-jährige Weiterbildung in Tanz-und Bewegungstherapie (Tanztherapie Zentrum Berlin)
Arbeitet aktuell als: Psychologin, Texterin und künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für künstlerische Forschung Berlin